Der musikalische Fachausdruck „espressivo“ taucht erstmals seit Mi7e des 18. Jahrhunderts bei
Haydn, Gluck und Carl Philipp Emanuel Bach auf, zunehmend dann in der frühromanIschen Musik
Beethovens und erst recht in der HochromanIk. Dass im vorliegenden Programm das Wörtchen kein
einziges Mal zu lesen ist, mag wohl der Tatsache geschuldet sein, dass die betreffenden Werke vom
Charakter her derart eindeuIg expressiv sind, weswegen die Komponisten einen zusätzlichen Hinweis
hierauf für überflüssig hielten.
Eugène Ysaye bedient sich in seinen sechs Sonaten für Solovioline einer enormen Pale7e an
Ausdrucks- und Farbnuancen. Besonders geprägt sind seine Werke durch eine vielseiIge Virtuosität
und seine persönliche Verehrung für die Musik Johann SebasIan Bachs, von seiner Liebe zur Natur,
zum Detail und zur MysIk, wie sie architektonisch auch in seiner Villa La Chantarelle verwirklicht
wurden und von seiner “berühmten Brillanz und DurchsichIgkeit”. Die 3. Solosonate „Ballade“ lässt
mit ihrem rhapsodischen Charakter, ihrer zunächst gezügelten und später ausbrechenden Energie
und den spätromanIschen SImmungsbildern der Einbildungskra^ freien Lauf. Gewidmet ist sie wie
alle Solosonaten einem großen Geigerkollegen, in diesem Fall Georges Enescu.
Debussy, o^ einseiIg als Vertreter des musikalischen Impressionismus missverstanden, hat unter
anderem auch in seinen Préludes durchaus extroverIerte Gesten und Iefe Klangfarbkontraste
verwirklicht. Beispielha^ hierfür stehen z.B. die versunkene Kathedrale, die sich imposant aus den
Tiefen des Meeres erhebt oder der Westwind, der sich aus einer leichten Böe bis hin zu einem bald
ohrenbetäubenden Wirbelsturm au^ürmt. Im Kontrast hierzu: Die Iefe Einsamkeit der Spuren im
Schnee, von denen wir nur erahnen können, in welch’ erfrorene SIlle sie führen mögen.
Nach der Londoner Erstaufführung von Béla Bartóks zweiter Violinsonate schrieb ein Zuhörer: „Jene,
deren Sinne für diese Musik bereit sind, finden darin Tiefe des Gefühls im Wechsel mit elementarer
Einfachheit. Sie ist zugleich der Natur nahe und in einem seltsam fernen Idiom geschrieben.“ Der SIl
sei „purer Expressionismus“, der Zugang dazu „keine Frage des Verständnisses, sondern des Gefühls“.
Dieses Direktheit des Ausdrucks liegt nicht zuletzt in Bartóks intensiver Feldforschung zu
Popularmusik und Naturlauten begründet: Die zwei ohne Pause in einander übergehenden Sätze
gleichen dem Lassù-Friss des Verbunkos aus der ungarischen ; auf eine freie, dreiteilige IntrodukIon
folgt ein tanzarIges Rondo, in dem die unbändig aneinander gereihten MoIve und Fragmente, die
Sekundreibungen und perkussiven Rhythmen durch den Bewegungsantrieb und das wieder
aufgegriffene Thema der Einleitung zusammengehalten werden.
Beethovens sogenannte „Kreutzersonate“ gehört zu einem der großarIgsten und mitreißendsten
Werke der Wiener Klassik und reißt Türen der „RomanIk“ bereits 1802 weit auf. Das etwa 35-
minüIge Werk ist dreisätzig angelegt. Der erste Satz beginnt im mehrsImmigen, langsamen
Wechselspiel der Instrumente, die sich bald vereinen. Kaum scheint die Musik zur inneren Einkehr zu
kommen, bricht ein stürmendes Presto an - enorme Kontraste, dramaIsche Ausbrüche und rasante
Tremoli besImmen weite Strecken des Geschehens. Der zweite Satz spendet Erfrischung von
alledem, wenngleich er nicht weniger geistreich und ausdrucksvoll das Thema in seinen VariaIonen
verwandelt und durchführt, bis schließlich das musikalische Material scheinbar in einer inneren
Auflösung die ursprünglichen Konturen durchbricht und erst dadurch zur echten Ruhe findet. Der
dri7e Satz schlägt in diese schließlich wie ein Blitz ein und trägt den Hörer mit seinen fast schon
aggressiv rhythmischen MoIven in immer höhere Sphären des Überschwangs. Lediglich ein ruhiges
Seitenthema und ein kleines Adagio, in dem der pulsierende Rhythmus sich zu beruhigen scheint,
unterbrechen dieses feurig strahlende Finale.
Sa, 11.7. 2020, 19 Uhr, Eintritt 25 €, Sozialtarif 12 € Anmeldung unter 04183 / 5112